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25
Apr
2007

Lieder sind...

"A song ist a magical marriage between a lyric and a melody. It is not a poem. It is not music. It is in this gray area of synthesis between language, rhythm and sound that some of the most acute of all sensors of human emotion lie."

(Jimmy Webb: "Tunesmith")
Obiges Buch lese ich gerade mit großem Genuß. Zwar sind Kontext und Sprache amerikanisch, aber einige Grundsätzlichkeiten lassen sich übertragen.

Ich habe in den letzten Wochen einiges geschrieben und komponiert und trotzdem kann ich den kreativen Prozess des Liederschreibens kaum erklären. Er vereint höchste Konzentration mit freiester schwebender Aufmerksamkeit. Oft beginnt alles mit einer Zeile und ich habe keine Ahnung, wohin es führt. Gefährlich wäre es dann, sich zu verrennen oder zu verplanen. Ebenso gefährlich, sich von jedem Einfall verleiten zu lassen, ihm nachzugehen und dabei das Ganze aus den Augen zu verlieren. Es gilt, gleichzeitig den Überblick zu behalten und dem Verlauf zu folgen - eine seltsam gespaltene und gleichzeitig umfassende Wahrnehmung, so als verfügte ich über die rundumschauenden Facettenaugen eines Insekts und parallel dazu über den enggeführten, aber detailgenauen Blick durch ein Mikroskop.

Wenn die Konzentration nachläßt, habe ich zu erspüren, ob ich sie neu fokussieren und mich wieder sammeln muß (was oft richtig anstrengend ist), oder ob ich mich festgefahren habe und tatsächlich eine Pause brauche. Aber wenn der Punkt der Zerstreuung überwunden ist, setzt oft ein fast tranceartiger Zustand ein. Auf Ablenkungen von außen reagiere ich dann eigenartigerweise nicht etwa unwirsch, sondern wische sie mit einer freundlich-abwesenden Gelassenheit vom Tisch und verschaffe mir wieder Ungestörtheit.

Wobei diese durchaus relativ ist: ich warte nicht, bis mich die Muse küßt. Liedermachen ist auch ein Handwerk, und ich brauche dazu weder einen festgelegten Arbeitsplatz noch eine bestimmte Menge Zeit. Manches geht schnell, anderes braucht länger. Wichtig ist, einfach anzufangen.

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, daß ein Lied, einmal vollendet, sofort ein Eigenleben gewinnt, eine Art Persönlichkeit entwickelt, in mir selbst Gefühle auslöst, die mir beim Schreiben völlig unbewußt waren.

"Lieder sind viel mehr als Lieder sind". Als ich das damals schrieb, wußte ich noch nicht wirklich, wie wahr das ist. Jetzt beginne ich es zu ahnen...

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MMarheinecke - 25. April, 21:17

Kreatives Schreiben ...

... ist, wie ich immer wieder aufs Neue erfahre, Disziplinsache. Nicht Diszplin im Sinne von Druck, der von außen kommt, sondern mit der "inneren Haltung". Mir fiel es früher leichter, mich nicht zu verrennen oder bei jedem Einfall abzuirren - und das Ganze aus den Augen zu verlieren.

Daraus zu warten, dass einen die Muse küßt, ist, denke ich, ein wirksamer Kreativitätskiller. Nicht weil Musen halt ihren eigenen Kopf haben und niemals auf Kommando erscheinen. Sondern weil warten und dabei die Gedanken kreisen lassen zumindest bei mir in fruchtlose Taugträumereien (günstiger Fall) oder in eine depressiv stimmende Abwärtsspirale der Verzweiflung (ungünstiger Fall) führt.
Übriges scheint das ach so beliebte "Brainstorming" ein wirksamer Ideen-Killer zu sein.
Mein persönlicher Ideen-Killer trägt übrigens den Namen "Selbstzweifel" und sieht leider seinem für die Arbeit unentbehlichen Bruder "Selbstkritik" von weitem so ähnlich, dass ich ihn oft nicht rechtzeitig fortschicke.

Schreiben ist ein Handwerk. (Komponieren hab ich noch nicht ernsthaft probiert.) Es gibt einige klasse Techniken, z. B. zur Überwindung der sog. Schreibblockade, die meistens von Journalisten erfunden wurden und die deshalb auch bei im weitesten Sinne journalistischen Texten gut funktionieren, aber bei Gedichten, Kurzgeschichten, Romanen nicht. Mein ziemlich gut gefülltes Blog und die vielen leeren Seiten in meinem "Ideen"-Block zeigen das deutlich.

Wenn ich lese, was Du über das Schreiben von Liedern schreibst, dann erkenne ich den deutlichen Unterschied zwischen Lied und Prosa. Dass ein Text von mir ein Eigenleben entwickelt, eine eigene Persönlichkeit annimmt, in mit selbst Gefühle auslöst, die ich nicht bewußt hineingelegt hab - das habe ich noch nie erlebt.

Den fast tranceartiger Zustand des "Schreibrausches" - oder, wenngleich das das letzte Mal schon lange her ist, "Malrausches" kenne ich gut. Leider ist dieser Zustand fast so unberechbar wie ein Musenkuss. Ich weiß von Schriftstellern, die diesen Zustand bewußt herbeigeführt haben. Auf die Dauer scheint das aber selbstzerstörerisch zu sein. Es ist kein Zufall, dass so viele gute Schriftsteller sich selbst in einem Anfall von Depression töteten. Denn auch ich falle nach dem Arbeits-Rausch in eine depressive Stimmung. Weil ich weiß, was depressiv sein, wirklich bedeutet, macht mir schon der Arbeitsrausch angst.

Aber das soll jetzt genug sein. Auch meine "Feinde" könne hier mitlesen :).

Londo - 26. April, 01:31

Was du schreibst...

...ist richtig, vor allem, dass in einem Song Melodie und Text untrennbar zusammengehören. Ich merke es gerade beim Anhören von "Dead Souls".

Außerdem hast du, Karan, mir gegenüber den enormen Vorteil, dass deine Werke von vielen anerkannt werden. Bei mir ist es derzeit leider anders *seufz*

Karan - 26. April, 09:34

Das mit den Selbstzweifeln und der Selbstkritik läßt sich sehr trefflich dadurch aushebeln, daß man sich gestattet, einen kompletten Schmarrn zu schreiben/komponieren/wasauchimmer.

Der Trick dabei ist natürlich, daß der Geist viel freier agiert, wenn die beiden notorischen Kontrollinstanzen mal die Klappe halten. Bitte nicht seufzen und sagen "aber bei mir klappt das nicht" - so was läßt sich üben, ist ein bissl wie Yoga ;-)

Spätestens wenn man den Schmarrn dann eine Weile liegenläßt wird sich zeigen, daß er gar nicht so schmarrig ist, wie man dachte und daß er entweder bereits als fertiges Ergebnis oder aber als Steinbruch für neue Ideen taugt.

Und was die öffentliche Anerkennung angeht, so gehört dazu natürlich auch, daß man sich irgendwann sichtbar machen muß mit dem, was man tut. Hier kommt dann die Selbstkritik als hilfreicher Faktor ins Spiel, denn sie sagt einem, wann das ok ist und wann man lieber noch ein bißchen an der Sache feilen sollte.

Frohes Schaffen Euch allen! :-)

Zia - 28. April, 14:24

Ich finde...

...diese Deine Beschreibung sehr schön! :-)
Lieder schreib ich ja keine, aber diesen Zustand kenn ich von anderen kreativen Prozessen auch. Um das Rad in Gang zu bringen hilft es mir übrigens oft, wenn ich ganz praktische Dinge tue, - irgendwas saubermachen, aufräumen... etc. . Das putzt die Hindernisse aus dem Gehirnskasten. ;-)

Frohes Schaffen!
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