"A song ist a magical marriage between a lyric and a melody. It is not a poem. It is not music. It is in this gray area of synthesis between language, rhythm and sound that some of the most acute of all sensors of human emotion lie."
(Jimmy Webb: "Tunesmith")
Obiges Buch lese ich gerade mit großem Genuß. Zwar sind Kontext und Sprache amerikanisch, aber einige Grundsätzlichkeiten lassen sich übertragen.
Ich habe in den letzten Wochen einiges geschrieben und komponiert und trotzdem kann ich den kreativen Prozess des Liederschreibens kaum erklären. Er vereint höchste Konzentration mit freiester schwebender Aufmerksamkeit. Oft beginnt alles mit einer Zeile und ich habe keine Ahnung, wohin es führt. Gefährlich wäre es dann, sich zu verrennen oder zu verplanen. Ebenso gefährlich, sich von jedem Einfall verleiten zu lassen, ihm nachzugehen und dabei das Ganze aus den Augen zu verlieren. Es gilt, gleichzeitig den Überblick zu behalten und dem Verlauf zu folgen - eine seltsam gespaltene und gleichzeitig umfassende Wahrnehmung, so als verfügte ich über die rundumschauenden Facettenaugen eines Insekts und parallel dazu über den enggeführten, aber detailgenauen Blick durch ein Mikroskop.
Wenn die Konzentration nachläßt, habe ich zu erspüren, ob ich sie neu fokussieren und mich wieder sammeln muß (was oft richtig anstrengend ist), oder ob ich mich festgefahren habe und tatsächlich eine Pause brauche. Aber wenn der Punkt der Zerstreuung überwunden ist, setzt oft ein fast tranceartiger Zustand ein. Auf Ablenkungen von außen reagiere ich dann eigenartigerweise nicht etwa unwirsch, sondern wische sie mit einer freundlich-abwesenden Gelassenheit vom Tisch und verschaffe mir wieder Ungestörtheit.
Wobei diese durchaus relativ ist: ich warte nicht, bis mich die Muse küßt. Liedermachen ist auch ein Handwerk, und ich brauche dazu weder einen festgelegten Arbeitsplatz noch eine bestimmte Menge Zeit. Manches geht schnell, anderes braucht länger. Wichtig ist, einfach anzufangen.
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, daß ein Lied, einmal vollendet, sofort ein Eigenleben gewinnt, eine Art Persönlichkeit entwickelt, in mir selbst Gefühle auslöst, die mir beim Schreiben völlig unbewußt waren.
"Lieder sind viel mehr als Lieder sind". Als ich das damals schrieb, wußte ich noch nicht wirklich, wie wahr das ist. Jetzt beginne ich es zu ahnen...