Documenta 12
Dort, wo die A7 wie eine Einflugschneise hinunter nach Kassel stürzt, frage ich mich immer, was für eine Stadt das da unten eigentlich ist. Ich kenne sie nur zu Documenta-Zeiten und vermute, daß sie in den dazwischenliegenden vier Jahren ein etwas anderes Gesicht hat, aber das werde ich ein anderes Mal erkunden. Etwas skurril scheint ein Ort, in dem bratwurstbewehrte Polizisten auf motorisierten Sackkarren in halsbrecherischem Tempo durch die Innenstadt düsen, aber durchaus zu sein:

Auf die nächste Eigentümlichkeit stieß ich beim Blick in einen Brillenladen. Haben die tatsächlich eine Überwachungskamera im Schaufenster? Moment, da sind ja überall Polizisten zu sehen. Und jetzt auch noch der Schäu..., he, Augenblick mal!

Das Bild wurde zum weißen Rauschen und es erschien die Schrift "Diese Aufzeichung wurde irrtümlich gelöscht".
Ein längeres Gespräch im Laden mit dem kreativen Besitzer und Videokünstler enthüllte erquickliche politische Übereinstimmungen und läßt auf Zusammenarbeit bei der Grundgesetz-Aktion hoffen.
Übrigens gibt's dort auch coole Brillen...
Die Documenta selbst hat mich überrascht. So persönlich und gleichzeitig politisch hätte ich sie mir nicht vorgestellt. Ich habe mir die Zeit genommen, mir etliche Video-Installationen anzusehen, die sich im Schnittfeld von Dokumentation und Kunstprojekt bewegen. Am beeindruckendsten fand ich "Them" von Artur Žmiliewski, der Vertreter vierer politisch äußerst unterschiedlicher polnischer Gesellschaftsgruppen in einem Kunst- und Performance-Projekt buchstäblich aufeinander losließ. Mich hätte allerdings interessiert, ob es nach den gestalterischen Eskalationen (bis hin zum gegenseitigen Kunstwerke-Verbrennen!) auch wieder zu irgendwelchen Annäherungen kam, oder ob die Differenzen, wie ich vermute, unüberbrückbar blieben.

Dieser Durchgang verbindet zwei Installationen von Iñigo Manglano-Ovalle – in der pechschwarzen Dunkelheit im Vordergrund verbirgt sich ein "Phantom Truck", eine bedrückende Interpretation der 2003 von den Amerikanern als "mobile Labors zur Waffenproduktion" bezeichneten irakischen Lkws (die natürlich alles andere als das waren).
Kerry James Marshall zeichnet Black-Power-Comics, erzählt aber auch sehr interessante Liebesgeschichten... ;-)

Schade, daß ich keine ruhige Hand zum Fotografieren ohne Blitzlicht habe! Etliche der schönsten Dinge konnte ich leider nicht im Bild festhalten: die Haar-Stickereien und die in fließende Seidenbanner gebetteten Memorabilien von Hu Xiaoyuan, die "Fears" von Nedko Solakov (Rumstöbern auf seiner "inoffiziellen Webseite" lohnt!), eine Serie von Tuschzeichnungen, vor denen ich immer wieder zwischen haltlosem Lachen und tiefer Beklemmung schwankte, die kirchenfensterartigen schrägen Fotomontagen von Zofia Kulik, die assoziativen Fotoreihen von Luis Jacob...
Ebenso undokumentierbar waren natürlich die Videos, wie James Colemans grandioser Film "Retake with Evidence", dargestellt vom ebenso grandiosen Harvey Keitel, oder die faszinierenden Spurensuchen von Hito Steyerl.
Auf den ersten Blick war Andreas Siekmannsy Beitrag bloß ein buntes Karussell,

beim zweiten Hinschauen ein scharfes politisches Statement. Schade, daß sich die interessanten Kontext-Erklärungen nicht lesbar ablichten ließen!

Von Ines Doujak gab es wütende Gewächse,


von Ai Weiwei einladende antike chinesisch Stühle ,

und von Saâdane Afif Gitarren, die sich selber spielen (interessanterweise genau meine höchsteigene elektrische Gitarre, Epiphone Les Paul Studio, aber ich hab sie in Rot).

Der Katalog ist schön produziert, hat aber leider einen entscheidenden Nachteil: er stellt die Exponate nach der Chronologie ihrer Entstehung dar, was an und für sich sehr interessant ist, aber ich hätte mir dann mindestens ein Register gewünscht, an dem abzulesen ist, was wo hängt oder steht. Deshalb konnte ich auch noch nicht feststellen, wer diesen wunderschönen blauen Raum geschaffen hat:



Irgendwann war es dann Zeit für eine (zur Nachahmung wärmstens empfohlene) Sushi-Schlemmerei auf dem Friedrichsplatz, mit Blick über Sanja Ivecovics prächtig blühendes Mohnfeld.


Die Documenta 12 erschien mir eine sehr subjektive Schau, die Wert darauf legt, die Exponate nicht nur für sich, sondern auch in einen Kontext zu stellen – etwas, das ja automatisch (und meist unreflektiert) beim Betrachter sowieso passiert. Denn der eigene Blick und die eigene Haltung wirken ja zurück auf das, was man sieht und bestimmen die Wahrnehmung entscheidend.
Ich hätte nicht übel Lust, ein paar Leute dort hinzuschleppen, die sich freiwillig nicht unbedingt moderne Kunst anschauen würden, deren Klarsicht und Interpretationsgabe aber dort gewiß viel Nahrung fänden. Bis zum 23. September ist noch Gelegenheit; mal sehen, was sich ergibt...

Auf die nächste Eigentümlichkeit stieß ich beim Blick in einen Brillenladen. Haben die tatsächlich eine Überwachungskamera im Schaufenster? Moment, da sind ja überall Polizisten zu sehen. Und jetzt auch noch der Schäu..., he, Augenblick mal!

Das Bild wurde zum weißen Rauschen und es erschien die Schrift "Diese Aufzeichung wurde irrtümlich gelöscht".
Ein längeres Gespräch im Laden mit dem kreativen Besitzer und Videokünstler enthüllte erquickliche politische Übereinstimmungen und läßt auf Zusammenarbeit bei der Grundgesetz-Aktion hoffen.
Übrigens gibt's dort auch coole Brillen...
Die Documenta selbst hat mich überrascht. So persönlich und gleichzeitig politisch hätte ich sie mir nicht vorgestellt. Ich habe mir die Zeit genommen, mir etliche Video-Installationen anzusehen, die sich im Schnittfeld von Dokumentation und Kunstprojekt bewegen. Am beeindruckendsten fand ich "Them" von Artur Žmiliewski, der Vertreter vierer politisch äußerst unterschiedlicher polnischer Gesellschaftsgruppen in einem Kunst- und Performance-Projekt buchstäblich aufeinander losließ. Mich hätte allerdings interessiert, ob es nach den gestalterischen Eskalationen (bis hin zum gegenseitigen Kunstwerke-Verbrennen!) auch wieder zu irgendwelchen Annäherungen kam, oder ob die Differenzen, wie ich vermute, unüberbrückbar blieben.

Dieser Durchgang verbindet zwei Installationen von Iñigo Manglano-Ovalle – in der pechschwarzen Dunkelheit im Vordergrund verbirgt sich ein "Phantom Truck", eine bedrückende Interpretation der 2003 von den Amerikanern als "mobile Labors zur Waffenproduktion" bezeichneten irakischen Lkws (die natürlich alles andere als das waren).
Kerry James Marshall zeichnet Black-Power-Comics, erzählt aber auch sehr interessante Liebesgeschichten... ;-)

Schade, daß ich keine ruhige Hand zum Fotografieren ohne Blitzlicht habe! Etliche der schönsten Dinge konnte ich leider nicht im Bild festhalten: die Haar-Stickereien und die in fließende Seidenbanner gebetteten Memorabilien von Hu Xiaoyuan, die "Fears" von Nedko Solakov (Rumstöbern auf seiner "inoffiziellen Webseite" lohnt!), eine Serie von Tuschzeichnungen, vor denen ich immer wieder zwischen haltlosem Lachen und tiefer Beklemmung schwankte, die kirchenfensterartigen schrägen Fotomontagen von Zofia Kulik, die assoziativen Fotoreihen von Luis Jacob...
Ebenso undokumentierbar waren natürlich die Videos, wie James Colemans grandioser Film "Retake with Evidence", dargestellt vom ebenso grandiosen Harvey Keitel, oder die faszinierenden Spurensuchen von Hito Steyerl.
Auf den ersten Blick war Andreas Siekmannsy Beitrag bloß ein buntes Karussell,

beim zweiten Hinschauen ein scharfes politisches Statement. Schade, daß sich die interessanten Kontext-Erklärungen nicht lesbar ablichten ließen!

Von Ines Doujak gab es wütende Gewächse,


von Ai Weiwei einladende antike chinesisch Stühle ,

und von Saâdane Afif Gitarren, die sich selber spielen (interessanterweise genau meine höchsteigene elektrische Gitarre, Epiphone Les Paul Studio, aber ich hab sie in Rot).

Der Katalog ist schön produziert, hat aber leider einen entscheidenden Nachteil: er stellt die Exponate nach der Chronologie ihrer Entstehung dar, was an und für sich sehr interessant ist, aber ich hätte mir dann mindestens ein Register gewünscht, an dem abzulesen ist, was wo hängt oder steht. Deshalb konnte ich auch noch nicht feststellen, wer diesen wunderschönen blauen Raum geschaffen hat:



Irgendwann war es dann Zeit für eine (zur Nachahmung wärmstens empfohlene) Sushi-Schlemmerei auf dem Friedrichsplatz, mit Blick über Sanja Ivecovics prächtig blühendes Mohnfeld.


Die Documenta 12 erschien mir eine sehr subjektive Schau, die Wert darauf legt, die Exponate nicht nur für sich, sondern auch in einen Kontext zu stellen – etwas, das ja automatisch (und meist unreflektiert) beim Betrachter sowieso passiert. Denn der eigene Blick und die eigene Haltung wirken ja zurück auf das, was man sieht und bestimmen die Wahrnehmung entscheidend.
Ich hätte nicht übel Lust, ein paar Leute dort hinzuschleppen, die sich freiwillig nicht unbedingt moderne Kunst anschauen würden, deren Klarsicht und Interpretationsgabe aber dort gewiß viel Nahrung fänden. Bis zum 23. September ist noch Gelegenheit; mal sehen, was sich ergibt...
Karan - 17. Juli, 14:23
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