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16
Aug
2006

Si tacuisses?

Daniel Haas von SpOn wünscht sich, Günter Grass hätte die Tatsache, daß er als 17jähriger Mitglied der Waffen-SS gewesen war, nicht öffentlich kundgetan.

"Grass hätte schweigen und die Enthüllung dem Schicksal überlassen sollen. Unwahrscheinlich, dass seine Waffen-SS-Zeit jemals zur Sprache gekommen wäre. Und wie gut wäre das gewesen."

Wäre es das wirklich?

Falls die Enthüllung tatsächlich "Verunsicherung und Vorurteile" schürt, warum dies nicht als eine Herausforderung begreifen, die endlich einmal aufräumt mit der allgemein verbreiteten Haltung, die sich an Unabänderlichkeiten klammert, anstatt Menschen und Schicksalen ihre Veränderlichkeit zuzugestehen?

Grass, der die eigene Verführbarkeit zugibt, sie analysiert, den Wandel zu demokratischen, menschenrechtsbezogenen Denken vollzogen hat und so zu einem "mutigen und streitbaren, geschichtsversessenen, nicht -vergessenen Autor" geworden ist, könnte als Vorbild gelten - für jene, die heute ebenso wie er damals ihren Ängsten, Verstrickungen und scheinbaren Ausweglosigkeiten anheimfallen und Sicherheit suchen in Systemen, die ja nur auf dem Nährboden solcher Gegebenheiten überhaupt gedeihen können. Rechtsextremismus ist meines Erachtens eine Ausdrucksform von Angst.

Nein, Günter Grass hatte keine "Schuld" abzutragen. Er hat Verantwortung übernommen, auch und gerade mit seiner jüngsten Offenbarung. Wenn er davon spricht, es sei "sein eigener Zwang" gewesen, der ihn zu seinem Geständnis gebracht habe, so glaube ich, daß er damit nicht die Zwanghaftigkeit eines Bettelns um Absolution meint, sondern die letzte Konsequenz der Verantwortung, zu der unabdingbar eben diese Ehrlichkeit gehört. Und damit führt er ein gesellschaftlich tief verwurzeltes Denken ad absurdum, dessen Auflösung lange schon überfällig ist.

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Hellblazer - 16. August, 14:28

die einzigen, die das "verunsichert" sind die Kurzdenker, die das als selffulfilling prophecy selber in vorauseilendem Gehorsam gegenüber internalisierten Normen formulieren. Aber heutzutage zählt ja auch kein Inhalt mehr sondern nur noch Verpackung und Image. Wundert mich nicht, dass Grass Inhalte da nun vor lauter ad hominem-Urteilen nicht mehr gelten sollen - entspricht heutiger Kurzsichtigkeit und der Priorität des (momentanen) äußeren Scheins und der Person, da sind gewachsene und irgendwann gesetzte Inhalte zweitrangig wenn nicht sogar lästig. Und schon kann man unbequeme Inhalte endlich ignorieren. Lustig, dass das von gerade denen vorgeblich bedauert wird, die dieses Prinzip selbst realisieren, denn es stünde ihnen ja frei, das einfach nicht zu tun. Das aber scheinen sie nicht mehr zu können. Unfreiheit beginnt im Denken.

Stadl42 - 16. August, 15:40

Da frag' ich mich...

... ob der Spiegel schon populistisch genug geworden ist, um eine solche Auffassung von Aufrichtigkeit durch einen Nuntius in den Dreck zu treten, auf daß sich das vermeintliche Bildungsbürgertum daran labe und voyeuristisch geifernd seine kleine Online-Gehirn-Onanie-Orgie vollführe - Big Brothers Containerkacke läßt dampfen. Oder anders: 'Ich bin ein Intellektueller - holt mich hier raus.' Scheinbar gibt es auch in dieser, wie ich bisher dachte, noch einigermaßen ehrenwerten, oder doch zumindest wahrhaftigen, Redaktion langsam auch schon zu wenig mäßigende Seelen. Vielleicht wird ja bald mit dem 'Focus' fusioniert... - ich freue mich schon auf die vielen bunten Bildchen!

Hellblazer - 16. August, 18:57

SpOn ist eine eigene Redaktion und hat wenig mit dem Print-Spiegel zu tun. SpOn fällt seit einigen Monaten (oder gar Jahren) durch stetige Niveausenkung auf, noch vor zwei Jahren war ich da täglich drauf, aber inzwischen sehe ich kaum Unterschiede zu anderen Boulevard-Oberflächenschwimmern (außer vielleicht der halbwegs tendenziell neoliberalen Ausrichtung, die sich durch deren Politiksparte zu ziehen scheint, die SpOn recht individuell prägt in der dargebotenen Form), so dass ich da vielleicht noch dreimal im Monat, wegen des ein oder anderen Links in Blogs, die ich lese, hinklicke.
MMarheinecke - 16. August, 18:05

Das Richtige - zu spät ...

Dass Grass seine Mitgliedschft in der Waffen-SS zugegeben hat, war richtig. Es kam leider um gut 40 oder vielleicht auch 50 Jahre zu spät, deshalb bleibt ein unötiger bitterer Beigeschmack. Ich habe den Verdacht, dass Menschen wie Daniel Haas "ihren" Grass gerne unbeschädigt hätten: die moralische Institution GG, der Erfolgsschriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger GG, der mutige Aufgreifer (angeblicher) Tabus GG. Günter Grass Superstar, ein Mann zum Vorzeigen! Und nun ist es damit, dank Grass' später Ehrlichkeit, Essig. Wie blöd von dem Mann auch, macht unser schönes schwarz-weißes Weltbild einfach kaputt!

Mit Grass hatte ich übrigens auch "vorher" schon so meine Probleme, und zwar wegen einiger seiner Ansichten zum Themenkomplex Antisemitismus - Israel und seines spürbaren Antiamerikanismus - womit ich nicht seine berechtigte Kritik an der Politik der Regierung G. W. Bush meine. Außerdem habe ich (Blick ins Buchregal) den Eindruck, dass seine beste Zeit als Schriftsteller schon lange vorbei ist. "Im Krebsgang" z. B. ist nicht schlecht geschrieben, aber wäre es von jemandem anderen als Grass, und hätte es keine künstliche Aufregung um das Thema "Vertreibung" und "Versenkung der Gustloff" gegeben, wäre das Buch weitgehend unbeachtet geblieben.

Hellblazer - 16. August, 19:02

Warum zu spät? Eine Marginalie, dass der Mann mit 18 ein paar Monate SS-Mitglied war (Ladeschütze - boooaaah! Und die Medien tun ja so als wär' er Jahre lang Lagerkommandant von Auschwitz gewesen wär') und dies gegenüber dem US-Militär bei Gefangenname auch angab, diese Informationen sind seit den 60-ern, seit diese Unterlagen der BRD gegeben wurden, frei zugänglich (Suchanfrage "Günther Grass" an das Dings zur Benachrichtigung Hinterbliebener ehemaliger Wehrmachtsangehöriger oder wie das Teil nochma' heißt).

Grass machte nie einen Hehl daraus (und zeigte sich auch immer entsprechend zerknirscht), dass ihn als "junger dummer Mensch" die Nazis faszinierten und er sich "freiwillig verführen" ließ. Dass er diesen Punkt explizit bislang nicht erwähnte kann ich nachvollziehen, ich nehme ihm das ab, dass er dafür bisher "keinen Rahmen" fand, denn - q.e.d. - das ist einerseits so unwichtig im Gesamten, aber würde so fokussiert worden sein, dass dieser Punkt alles Wichtige, nämlich die inhaltliche Selbstkritik, die Grass stets zu sich und diesem Thema / dieser Zeit zeigte, über Gebühr verblassen hätte lassen. Und die Medien bestätigen ebenjenes gerade sehr anschaulich.

Das Bohey um diese "Enthüllung" ist lächerlicher als die Nachricht, dass Dieter Bohlen auf Malle mit einer jungen Frau am Strand gesichtet wurde, die nicht seine derzeitige Freundin ist *gähn*
Stadl42 - 16. August, 22:13

Nachtrag.

Heute abend gab es eine Diskussion einiger schlauer Leute (Verleger, Literaturkritiker) im Deutschlandfunk über Grass' Enthüllung. Es wurden, wie immer bei DLF-Diskussionen, sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten, von 'Peinlich, dass er (Grass) den richtigen Zeitpunkt verpasst hat. Der wäre etwa 1965 gewesen.' bis 'Ehrenwert, dass er sich doch noch aufraffen konnte.' und 'Prima Medienrummel zum Erscheinen seiner Autobiographie. Was ein Zufall...'.
Mir festigen sich zwei einfache Gedanken im Hirn, je länger ich nachdenke:
  • Was soll denn der Aufstand? Damals mit 16 oder 17 Jahren bei einem braunen Verein gewesen zu sein, ist doch der Normalfall. Und wieso darf jemand nichts dazulernen?
  • An dem PR-Gedanken ist wohl was dran, schließlich ist Günther Grass ein Profi. Er läßt Einen fahren, und die Pressewelt hüpft und kritzelt sich die Finger wund. Super! Der Mann hat recht!

Laßt uns zu den wichtigen Dingen zurückkehren. Ich tue es jedenfalls.

Karan - 16. August, 22:26

Mir wird bei der ganzen Sache wieder einmal deutlich, wie penetrant heutzutage "ad hominem" argumentiert wird und wie rasch die Sachebene zugunsten der diversen sich anbietenden Kurzschlüsse verlassen wird - denn das ist ja auch viel bequemer so, da bieten sich einfache Antworten, die das tatsächliche Denken und das erkenntnisbringende Argumentieren ersparen.

"Unfreiheit beginnt im Denken," schrieb Sven oben.
Auch in der Denkfaulheit beginnt sie...

Demzufolge glaube ich auch nicht an eine gezielte PR-Kampagne von Grass. Der Medienrummel nutzt den Medien. Bzw. entlarvt sie - siehe oben.

Kann mal bitte irgendwer eine größere Menge Hirn von welchem Himmel auch immer runterschmeißen? ;-)))

Hellblazer - 16. August, 22:37

naja, so ein bisschen nutzt Grass und sein Verlag das nun schon zur PR. Aber das geschieht den Geiferern grad recht, warum soll der nicht diese Gelegenheit nutzen, tuns "die andern" ja auch sobald sie irgend können (und können meißt auch garnix anderes mehr, mal davon ab, im Gegensatz zu Leuten wie Grass, weshalb ihnen solche Leute ja auch ein Dorn im Auge sind und sein müssen) :-D
majoky - 17. August, 00:48

Marketing -

mehr steckt meiner Meinung nach nicht hinter dieser "Enthüllung".
Daß der lebendige Zeigefinger Grass sich jetzt einige zum Teil recht hämische Retourkutschen anhören muss, dürfte ihm klar gewesen sein, ich kann das "Die machen mich zur Unperson" - Gejammere nicht hören.
Ich empfinde es auch als eine recht schwache Ausrede, daß es einer "besonderen literarischen Form zur Aufarbeitung" bedurfte.
Was andererseits aber in der Hitze des Gras(s)feuers unterging, ist eine kleine Notiz aus der Zeitung Welt vom (ich glaube) Montag: Bereits vor vier Wochen wurden an alle möglichen Literaturkritiker 200 Exemplare der Grass'schen AB vorab ausgeliefert - und keiner fand die "Enthüllung" erwähnenswert. Entweder [i]fanden[/i] sie es nicht erwähnenswert (und Grass hat aus marketingtechnischen Gründen dann mal "nachgelegt"), oder...sie haben das Ding schlicht nicht gelesen. Ich weiss grade nicht, welche Variante ich interessanter fände ... ;)

eibensang - 17. August, 03:35

Besser spät als nie.

Sagt einer, der auch schon so manchen idealen Zeitpunkt verpaßt hat. Und Nachsicht übt in Ahnung der Möglichkeit, daß sich eigene Entwicklung nicht immer mit dem bestmöglichen öffentlichen Timing verträgt. Bin kein Grass-Fan: zuviel schlecht Geschriebenes nach der "Blechtrommel", zuviel Selbstgefälligkeit im öffentlichen Auftreten (und Annehmen der Rolle) als Alibi-Moralisator. Hier einfach nur: Respekt vor diesem Menschen. Und sei es wegen "spät". Als: doch noch! Will sagen: bestätigte der Grass nur meine Vorurteile seiner Person gegenüber, hätte er die unappetitliche Fußnote - als Kenner der Medienwelt, für den man ihn halten darf - doch locker unterschlagen. Alter mag vor Torheit nicht schützen, klar. Mut aber macht mir, zu erahnen, daß Aufrichtigkeit kein Privileg oder gar Monopol hitzköpfiger Jugendlichkeit sein muß.

Zia - 17. August, 11:49

Obendrein...

...möcht ich anmerken, daß ich es für wertvoll halte, Leuten zuzuhören, die wissen, wie "es" funktioniert, weil sie selbst in die Falle gegangen sind. Meiner Ansicht nach ist das nötig um nachhaltlig zu verhindern, daß sowas nochmal passiert.
Ich will die, die jetzt am lautesten schreien, in einem totalitären System sehen... wo würden die wohl landen? Wo würdest du landen? Wo würde ich landen? ... Die Fragen sind gar nicht so einfach zu beantworten.

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